Ein Faustkeil – das ist doch Wahnsinn!

Porträtbild von Dr. Stephan Veil
Dr. Stephan Veil (2023), Foto: Reschke

Herr Dr. Veil, Sie waren rund 20 Jahre Vorsitzender des Niedersächsischen Landesvereins für Urgeschichte. Wie hat sich der Verein in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt?

In meiner Zeit ist es uns vergleichsweise gut gelungen, unsere Mitglieder zu halten, viele sind uns bis heute treu geblieben. Theoretisch setzt unser Zielgruppe zwar bei 30 Jahren ein. Und wir unterstützen auch eine archäologische Kindergruppe im Landesmuseum, aber ein Schwerpunkt liegt deutlich bei den Ü50. Menschen haben nach dem Berufsleben mehr Zeit, das Interesse an den Ursprüngen und die Faszination des Unbekannten sind ungebrochen. Bekanntlich haben viele noch 20 und mehr aktive Jahre vor sich. Entgegen landläufiger Unterschätzung ist diese Gruppe also ein wichtiges Alterssegment. Wenn wir nur ein Viertel unseres Potenzials erreichen würden, bräuchten wir uns über den Fortbestand des Landesvereins keine Gedanken zu machen. Natürlich wäre es sehr schön, auch bei den mitten im Leben Stehenden an Boden zu gewinnen.

Erklärter Vereinszweck ist die „Belebung und Förderung des urgeschichtlichen Verständnisses“. Mit welchen Angeboten war und ist der Verein besonders erfolgreich?

Ein Klassiker waren immer schon die Studienreisen. Als der Landesverein 1950 nach dem Zweiten Weltkrieg wiederbelebt wurde, war das Interesse an der Archäologie ungebrochen. Außerdem hatten die Leute das Bedürfnis, Deutschland endlich einmal zu verlassen. Die Auslandsreisen des Vereins waren damals sehr begehrt und werden bis heute von unseren Mitgliedern. Später kamen vermehrt Tagesexkursionen hinzu, die vom Freundeskreis für Urgeschichte angeboten wurden, der schließlich im Landesverein aufging.

Ein über Hannover hinaus einzigartiges Format ist auch unser PraeHistorischer Salon. Hier verknüpfen wir historische und ein literarische Interessen auf spannender Weise. Das Landesmuseum Hannover mit seinen reichen archäologischen und mittelalterlichen Sammlungen bietet sich förmlich für eine solche interdisziplinäre Veranstaltungsreihe an. Seit 2011 haben wir über 30 Romane zwischen Steinzeit und Mittelalter vorgestellt. Das Geheimnis des Erfolges scheint nach allem darauf zu beruhen, dass für jeden etwas dabei ist.

Welche Rolle spielen die Vorträge?

Die Vorträge waren seit Bestehen des Vereins ein wesentliches Anliegen. Ich kann mich an einen Vortrag unter meinem Vorgänger Günter Wegner erinnern, zu dem sich über 200 Leute stehend im Vortragssaal des Landesmuseums drängten. Heute wäre dies mit den Sicherheitsbestimmungen nicht mehr zu vereinbaren, aber noch immer füllen wir den Saal. Gäste und Mitglieder schätzen es, beim anschließenden Umtrunk angeregt weiter zu diskutieren.

Wie verbindet der Landesverein die archäologische Forschung mit einer Publikumswirksamkeit?

Unsere in Fachkreisen hoch angesehene Zeitschrift DIE KUNDE vermittelt seit 1932 fast ununterbrochen archäologische Forschungsergebnisse. Mir persönlich war es immer auch wichtig, das Ehrenamt zu fördern, eine Tradition, die in die Anfangsjahre des Vereins zurückreicht. Die damalige „Arbeitsgemeinschaft für die Urgeschichte Nordwestdeutschlands“ bot Heimatpflegern eine intensive Schulung an. Daran knüpften seit den 1990ern Arbeitskreise zur Steinzeit und zur prähistorischen Kunst an. Hier konnten sich Laien und Amateure an wissenschaftlicher Arbeit und Diskussion beteiligen. Da war jeder willkommen.

Gibt es in unserer digitalisierten Gegenwart noch ein Interesse an der Urgeschichte?

Eindeutig ja. Das Interesse an der Archäologie ist ungebrochen und es wird von den digitalen Medien und Möglichkeiten zugleich befriedigt und angeregt. Ein Beispiel für die neue digitale Kommunikation ist unser ehrenamtlich produzierter Newsletter, den jeder per E-Mail kostenfrei abonnieren kann. Ein feines Beispiel für Nachhaltigkeit ist die Nachnutzung der Podiumsgespräche im schon erwähnten PraeHistorischen Salon. Die dank h1, dem regionalen Bürgerfernsehen in Hannover, fernsehgerechten Aufzeichnungen sollen künftig ins Netz gestellt werden.

Richtig spannend wird es, wenn man einzigartige Möglichkeiten der Digitaltechnik mit Erkenntnismehrwert nutzt. Es ist einfach umwerfend, im virtuellen Zeitraffer mitzuverfolgen, wie sich ein unansehnliches Stück Blech wieder in das alte goldglänzende ursprüngliche Bronzegefäß vor 3000 Jahren zurück verwandelt. Die Gefahr, dass die virtuelle der tatsächlichen Realität den Rang ablaufen könnte, sehe ich nicht. Die Besucherschlangen vor den Topexponaten in den Museen und an den Stätten des Weltkulturerbes sprechen eine eindeutige Sprache. Nichts kann den authentischen Fachvortrag über den aktuellen Forschungsstand zur Schlacht am Teutoburger Wald oder die Aura eines schönen Faustkeils toppen, den vor 70.000 Jahren ein Neandertaler beim heutigen Lüchow in der Hand gehalten hat. Und selbst zu spüren, wie sich ein Faustkeil anfühlt, das ist doch Wahnsinn!